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Erfahrungsbericht: Katy, 33, Gründerin von Seelensport.at



Das Jahr 2013 hatte nicht besonders gut angefangen. Im März beschloss ich spontan nach 6 Jahren Abstinenz mich wieder auf Schier zu trauen. Ich war nie besonders gut und Gefallen hatte ich daran auch nur wenig. Dennoch hat mich ein Freund, der Schilehrer war, geschafft dazu zu überreden. Keine gute Idee, wie sich herausstellte. Am Ende des Tages lag ich mit einem geschwollenen Knie daheim. Ich hatte einen Unfall. Ein paar Tage später dann das ernüchternde Ergebnis. Ein Kreuzbandriss mit ein paar kleineren Verletzungen rund um das Knie herum. Im Mai wurde ich schließlich operiert, 10 Tage danach hatte ich schreckliche Schmerzen in meiner Wadenmuskulatur. Ich bekam eine tiefe Beinvenenthrombose.


Durch diese Operation und den weiteren Folgen war ich nun auf Hilfe angewiesen. Eine der Folgen war, dass ich sofort nach dem Unfall in meinem Job als Kellnerin gekündigt wurde. Ein Studentenjob mit dem ich mir mein Leben finanzierte. Verletzt, kein Geld und eine lebensgefährliche Thrombose, meine Aussichten waren demnach nicht besonders gut. Den Sommer verbrachte ich deshalb zu Hause in Reutte bei meiner Mutter und meinen drei jüngeren Schwestern. Meine Eltern waren geschieden. Eine ziemliche Herausforderung für mich, da ich bereits seit Jahren alleine in Innsbruck lebte. Dort studierte ich Geschichtswissenschaften. Die Fahrt nach Reutte dauerte etwa 1,5 Stunden.


Meine Sommertage verbrachte ich damit, lange Gespräche mit meinen Schwestern zu führen, Zeit für mich zu haben und Serien anzuschauen. Gossip Girl konnte ich auswendig. Die Zeit war trotz der Umstände glücklich. Mit meinen Schwestern pflege ich eine sehr innige Beziehung. Sie sind für mich die wichtigsten Menschen in meinem Leben. Daher habe ich es geschätzt, derart viel Zeit mit ihnen verbringen zu dürfen.


Ende des Sommers wurde mir eine dreiwöchige Reha in Kärnten genehmigt. Ich besuchte sie gerne und kam vollkommen erholt, mit einem deutlich besseren Knie und motiviert für den Universitätsstart zurück nach Innsbruck. Die Untersuchung der Thrombose ergab ebenfalls ein gutes Ergebnis. Ich war wieder gesund. Das musste doch gefeiert werden. Deshalb beschloss ich mit Freunden eine Hausparty zu veranstalten. Es war bereits Mitte September. Meine 21 jährige Schwester Larissa kam ebenfalls und übernachtete bei ihrem Freund, den sie vor knapp 2 Monaten kennen gelernt hatte. Meine jüngste Schwester war erst 17 und konnte deshalb nicht mit dabei sein, da wir nach der Hausparty geplant hatten in die Stadt zu gehen. Meine 25 jährige Schwester hatte am nächsten Tag einen Gesangsauftritt und war dadurch verhindert.

Die Party war gelungen und lustig. Ich lernte erstmals Larissas neuen Freund kennen und mochte ihn auf Anhieb. Er schien ein netter junger Mann zu sein. Nach Mitternacht gingen wir in ein bekanntes Stadtpub und nahmen dort noch ein paar Drinks zu uns. Wir hatten alle schon einen etwas erhöhten Alkoholpegel und Larissas Freund schien zunehmend eifersüchtig auf einen Freund von mir zu sein. Meine Schwester stritt sich kurz mit ihm, war jedoch gleich wieder gut mit ihm. Sie beschlossen dann nach Hause zu gehen. Eine Stunde später schrieb ich ihr noch, ob alles gut war. Sie bejahte es mit einem Smiley dahinter. Es war die letzte Nachricht was ich von ihr erhalten habe.


Am nächsten Morgen kontaktierte mich ihr Freund und fragte, ob ich wüsste, wo meine Schwester war. Er erklärte mir, dass sie mitten in der Nacht die Wohnung verlassen hätte. Von da an habe ich gewusst, dass etwas passiert sein musste. Denn wenn nicht, hätte sie mich definitiv kontaktiert oder mir Bescheid gegeben. Doch niemand aus meiner Familie hörte von ihr.

Die Suche nach meiner Schwester hatte begonnen. Polizei, Kriminalamt und die ganze Stadt unterstützten uns intensiv dabei. Diese Tage waren derart beängstigend und belastend, dass ich dafür heute noch kaum Worte finde. Ich wollte einfach nur wissen, wo sie war und was geschehen war. Meine Fantasie ließ schreckliche Vermutungen aufkommen, wie etwa, dass sie in den naheliegenden Inn gefallen sei, entführt wurde oder sonst einen Unfall hatte. Niemals aber habe ich den Gedanken zugelassen, dass ihr Freund damit zu tun habe. Er hatte ebenfalls bei der Suche geholfen.


Nach 10 Tagen kam die grauenvolle Wahrheit ans Licht. In der besagten Nacht nach der Party hatte es noch weitere Streitigkeiten gegeben, woraufhin ihr Freund sie erwürgte, danach mit dem Auto ihren Körper zum Inn brachte und sie darin entsorgte. Weil sein Auto im Sandbett nach der Entsorgung stecken geblieben war, musste er einen Pannendienst rufen, der ihn raus zog. Durch diesen Anruf flog seine Geschichte auf und er wurde erwischt.


Nach Erhalt der Nachricht saß ich vollkommen gebrochen da. Die Welt schien still zu stehen, mein Blick war verschwommen durch all die Tränen, die ununterbrochen aus meinen Augen strömten. Mein Herz war einem Schmerz ausgesetzt, der mir meinen Atem raubte und mir das Gefühl gab jeden Moment selbst daran zu sterben. Mein Lieblingsmensch, mein Zwilling im Herzen soll tot sein und nie wieder kommen. Ermordet, von einem Mann, den sie nur so kurze Zeit kannte. Wie konnte eine solche Fiktion, die doch nur aus Krimis bekannt war, plötzlich zu meiner Realität werden? Und vor allem, wie sollte ich nun mit dieser Realität leben? Oder besser überleben. Denn mehr war es am Anfang nicht. Von einer Stunde zur nächsten. Von einem Tag zum anderen. Ohne Sinn und Ziel, mit dem Wunsch ihr nachzufolgen.

Larissa und ich wenige Jahre vor ihrem Tod.


Doch ich war nicht alleine. Da waren noch meine anderen zwei Schwestern und meine Eltern. Sie waren mein erster Grund zu überleben. Nachdem Larissas Körper gefunden wurde konnte die Beerdigung stattfinden. Ein Abschied, der unbegreiflich für mich war. Ein Stehen vor dem geschlossenen Sarg, ohne sie selbst noch einmal gesehen zu haben. Unglaublich. Unreal. Unfassbar. Und doch so tief schmerzvoll zugleich.


Mein erster Geburtstag, das erste Weihnachten und auch Silvester gingen an mir spurlos vorbei, als wäre ich in eine graue Wolke gehüllt, die mich einerseits innerlich vor Schmerz zu zerreißen drohte, andererseits mich gleichzeitig schützte, indem ich oft nur Leere wahrnehmen konnte. Ich überlebte diese Zeit, aber ich war weit entfernt von Lebendigkeit. Um dem Schmerz zu entkommen versuchte ich mich mit Alkohol zu betäuben. An manchen Tagen war es der Tequila am Morgen, an anderen ein paar Flaschen Wein am Abend. Geholfen hat der Alkohol nicht. Eigentlich machte er alles nur noch schlimmer und emotionaler.


Im neuen Jahr 2014 versuchte ich erste Schritte in die Universität zu setzen, die meisten dieser Schritte scheiterten jedoch an Panikattacken und Tränenergüssen. Diese und eine tiefe, verstörte Wut wurden meine täglichen Begleiter. Meine Familie überlebte mit mir die ersten Monate und nur durch eine gut geführte Familientherapie waren wir fähig miteinander normal zu sprechen. Denn Trauer bringt jeden an seine Grenzen und öffnet ein Feld voller Konflikte. Verständnis, Akzeptanz und Respekt den anderen Trauerwegen gegenüber sind unabdingbar.

Anfang des Jahres hatte ich einen Termin bei meinem Knie Operateur. Seit meine Schwester Larissa gestorben war kümmerte ich mich nicht mehr um mein Knie, weshalb es sich enorm verschlechtert hatte. Mein Arzt nahm kein Blatt vor den Mund und setzte mit einem Satz eine Entwicklung in Gang, die mein zukünftiges Leben vollkommen änderte: Wenn ich nun nicht endlich beginnen würde etwas für mein Knie zu tun, dann würde ich nie wieder joggen können und ich hätte mit langwierigen Folgen zu rechnen. Meine Schwester Larissa war immer der sportliche Part in unserer Familie, wodurch sie mich persönlich stets motiviert hatte. Sie war tot. Sie konnte nie wieder laufen. Ich war am Leben und sollte es nun ebenfalls nicht mehr können. Das war für mich unvorstellbar und sollte nicht sein dürfen. Mein erster Gedanke, nachdem ich die Arztpraxis verlassen hatte, war: „Ich werde wieder laufen können, für sie!“


Hoch motiviert ging ich wenige Tage später in ein Fitnessstudio, mit dem Ziel meine Muskulatur aufzubauen. Alles darin erinnerte mich jedoch an Larissa und ich konnte meine Tränen nicht zurück halten. Weil mir das unangenehm war, beschloss ich daheim zu trainieren und bat meinen sportlichen Mitbewohner um Hilfe. Er gab mir einen Plan mit Übungen. Das war der Startschuss meines sportlichen Lebens. Von da an gab es bis heute kaum eine Zeit in der ich mich nicht sportlich bewegte oder trainierte. Von Beginn an spürte ich, wie sich nicht nur mein Körper bewegte, sondern vor allem meine Gefühle und meine Seele. All diese tief sitzenden, verdrängten und unterdrückten Gefühle kamen hervor und platzten heraus. Ich konnte weinen und lachen, schreien und in Stille da sitzen, mich wieder spüren und war lebendig geworden.

Ich verlagerte mein Training nach der ersten Einheit in die Natur, weil ich dort noch mehr Kraft schöpfen konnte und verbrachte mehrere Tage pro Woche mit dem Training. Nicht nur meine Muskulatur veränderte sich, auch andere körperliche Gegebenheiten verbesserten sich. Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Hautprobleme, Haarausfall, Konzentrationsschwäche und vieles mehr wurden stetig weniger. Ich beschloss zudem keinen Alkohol mehr zu trinken und mich gesünder zu ernähren. Wenn ich trainierte fühlte ich mich meiner Schwester am nächsten, aber auch mir selbst. Das war meine persönliche Motivation geworden.

Ich, Jahre später beim Training draußen.


Mit der Trauer selbst konnte ich mich zu Beginn nicht besonders auseinandersetzen, denn eine Sache stand uns noch bevor: die Verhandlung des Mörders. Sie sollte im Juni stattfinden. Lange habe ich damit gehadert hin zu gehen oder mich davon fern zu halten. Aufgrund der Tatsache, dass ich derart schwere körperliche Folgen hatte, psychisch völlig erschöpft war und mir durch den Sport eine Lebendigkeit hart zurück erkämpft hatte, beschloss ich nicht an der Verhandlung teilzunehmen. Bis heute bereue ich diese Entscheidung nicht und finde, dass es die beste meines Lebens war. Der Mörder hat 20 Jahre mit anschließender Sicherungsverwahrung erhalten. Kein Urteil der Welt konnte mir den Schmerz nehmen, aber das Gefühl der Angst vor dem Mörder selbst mindern, mir eine kleine Genugtuung und mir endlich Zeit für meine Trauer geben.


Mit der Entscheidung daran nicht teilzunehmen, wurde gleichzeitig der Gedanke geboren anderen Menschen mit Bewegung zu helfen. Ich folgte diesem Gedanken zielorientiert.

Mein Studium hatte ich abgeschlossen und bin von heute auf morgen 2015 nach Wien gegangen, um dort meinem Traum zu folgen und ihn umzusetzen. Nach zahlreichen Hindernissen, Ausbildungen im Sportbereich und in der Trauerarbeit war es dann soweit: Der SeelenSport® war gegründet. Zurück in Innsbruck begleite ich dort trauernde Menschen in ihrem Trauerweg und biete ihnen Raum, Zeit und eine einzigartige Möglichkeit sich Gefühlen bewusst zu werden und diese nach außen zu lassen.


Der Weg zu dem Punkt, an dem ich heute stehe, war definitiv nicht einfach, aber er war auch nicht unmöglich zu gehen. Mit den richtigen Menschen an meiner Seite, dem Bewusstsein darüber, dass ich gut bin in meiner Trauer und der Entscheidung mir etwas Gutes zu tun habe ich diesen Weg gehen können. Und ich weiß, dass auch du ihn gehen kannst! Mit meiner Geschichte, die in so wenigen Sätzen nur die Oberfläche meines Weges zeigt, möchte ich dir Mut schenken und Hoffnung machen. Ich habe mich selbst sehr lange gefragt, ob ein Lachen und ein glückliches Gefühl im Herzen wieder möglich sein werden und kann heute sagen: JA, sie sind möglich. Wir müssen uns dafür durch die Tiefen des Schmerzes begeben, die Traurigkeit zulassen und uns Zeit dafür nehmen, denn dann wird auch ein Lächeln wieder kommen. Und doch bleibt der Schmerz stets da, nicht mehr 24 Stunden und nicht in einer Intensität, dass er uns gefühlt sterben lässt. Er bleibt und darf auch bleiben, denn er ist der Ausdruck deiner Liebe und diese bleibt ewig.


Vergiss niemals: Deine Trauer. Dein Schmerz. Deine Regeln.

Geh deinen Weg mit deinem Schmetterling im Herzen.


Alles Liebe,

Katy


Tröstende Texte und meine Angebote findest du unter: www.seelensport.at

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