Wenn wir uns in einem Aufzug begegnen würden und Du dich in 5 Sätzen vorstellen müsstest, was würdest du mir erzählen?
Ich bin Alexandra, 40 und aus Berlin. Ich tröste Menschen. Andere begleite ich am Lebensende. Niemand sollte alleine trauern und ich bin für Menschen da, die Unterstützung brauchen einen Verlust zu verarbeiten oder selbst am Ende ihres Lebens stehen. Jeder von uns wird dem Tod begegnen und es ist wichtig, dass wir uns mit diesem ganz natürlichen Thema wieder mehr auseinander setzen.
Sich mit Tod, Trauer oder Verlust zu beschäftigen, bedeutet für mich…
Ganz klar im Leben zu werden. Wenn ich mir bewusst mache, dass es mein letztes Jahr, mein letzter Monat, mein letzter Tag sein könnte, dann weiß ich sofort genau, was wichtig ist und was nicht. Und danach lebe ich. Ich hätte mich ohne diese Klarheit niemals selbstständig gemacht. Immer warten wir auf den „richtigen Moment“… „Wenn ich so-und-so-viel gespart habe…“ „Wenn ich dann in Rente bin…“ usw. Aber ich weiß einfach nicht, wie lang mein Leben wirklich sein wird und ich möchte so viel wie möglich in meinem Leben ausprobiert haben. Mit der Trauer ist es ähnlich. Wer einen nahestehenden, geliebten Menschen verloren hat, weiß, wie wertvoll gemeinsame Zeit ist und wie wichtig es ist, diese Zeit zu nutzen. Auf der anderen Seite sind Tod & Trauer „normale“ Ereignisse im Leben. Leider wollen wir sie die meiste Zeit verdrängen. Wir versprechen uns „bis dass der Tod uns scheidet“ und gleichzeitig haben wir das Bild vom gemeinsamen Altwerden im Kopf, aber wo steht, dass jedem von uns ein langes Leben bevorsteht? Wer sagt, dass wir, sobald wir geboren werden, auch alt werden? Das heißt nicht, dass wir nicht traurig sein oder jemanden vermissen dürfen. Natürlich ist ein Verlust sehr schmerzhaft und wird uns ein Leben lang begleiten.
Wenn ich etwas an unserer Trauerkultur ändern könnte, dann …
Wir sind meiner Meinung nach zu oft in der Opferrolle gegenüber Tod und Sterben. In wie vielen Kulturen wird der Tod auch gefeiert? Als Ende eines schönen Lebens? Werden Ahnen und ihre Seelen verehrt. In unserer Kultur konzentriert sich Tod immer nur um Leid, Dunkel, Schwarz. Ich würde auf jeden Fall erlauben, dass man Asche Zuhause haben oder verstreuen darf, die Friedhofspflicht abschaffen oder wenn das nicht möglich ist, Friedhöfe rundum modernisieren. Ich würde ein vollendetes Leben feiern, statt einer Trauerfeier. Und vollendet bedeutet nicht, wenn man mindestens 90 geworden ist. Trauerarbeit beginnt meiner Meinung nach schon mit dem Umgang des Verstorbenen bzw. einer guten Beisetzung. Abschiednahme am (offenen) Sarg, im Krematorium dabei sein, den Sarg/die Urne selbst gestalten, all das ist bereits Trauerarbeit und noch viel zu selten.
Trauern ist wichtig weil …
Es ein ganz natürlicher Prozess und ein ganz normales Gefühl ist. Es dient dazu uns bei der Anpassung an die neue Situation zu helfen. Auch, wenn es uns wie Chaos vorkommt. All die Gefühle, die mit der Trauer kommen, zBsp Wut, aber auch Liebe, wollen gefühlt und durchlebt werden. Wer die Trauer verdrängt oder sich nicht erlaubt zu trauern, drückt diese Emotionen weg. Sie verschwinden deswegen aber nicht. Ich habe schon viele Menschen kennengelernt, die 10 oder 20 Jahre später unter körperlichen oder emotionalen Problemen litten, die auf unverarbeitete Trauer zurückzuführen waren. Emotionen stauen sich eben auf und werden über kurz oder lang einen Weg an die Oberfläche finden.
Diese 3 Punkte machen eine gute Trauerbegleitung aus …
Ich habe selbst letztens diese Frage gestellt und genannt wurden eine gute Ausbildung und eigene Erfahrung mit Trauer, idealerweise mit derselben Trauer, die man selbst erlebt. Ich finde hinzu kommt noch der eigene Umgang mit Tod & Sterben. In der Weiterbildung zum Sterbe-/Trauerbegleiter bestand ein Großteil darin, sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen.
Seitdem ich in der Bestattung mitarbeite hat sich meine Sichtweise auf Trauer auch nochmal geändert. Es ist etwas völlig anderes, ob ich jemanden ganz kurz nach dem Tod begleite oder einen Trauernden ein Jahr nach dem Tod eines nahestehenden Menschen begleite.
Und für mich ist ein psychologisches Grundwissen wichtig, so dass ich unterscheiden kann zwischen „normalen Trauerreaktionen“, Depression, Anpassungsstörung, und der in 2022 kommenden „anhaltenden Trauerstörung“, denn ab einem gewissen Punkt muss ein Trauerbegleiter auch seine Grenzen kennen und an entsprechende Fachleute verweisen können.
Letztendlich geht es aber auch um die Chemie. Fühle ich mich gut begleitet, verstanden, bringt mich der Begleiter weiter? Falls nein, ehrlich sein und wechseln.
Dieses Buch muss man gelesen haben ...
„Die Kuh die weint“ von Ajahn Brahm. Ich mag die buddhistische Sichtweise sehr. Sie hilft mir, alles immer von zwei Seiten zu betrachten und mich dafür zu öffnen, dass meine Perspektive immer nur eine von vielen ist.
„Der Alchimist“ von Paulo Coelho. Hat mir in einer sehr schweren Zeit sehr viel Mut gemacht und ganz viel dazu beigetragen, dass ich Dinge auch „von oben“ betrachten, mich dem Schicksal oder dem Leben hingeben kann, ohne immer verstehen zu müssen, warum Dinge so passieren, wie sie passieren.
Alexandra Kossowski, 40, Trauerbegleiterin und Begleiterin am Lebensende
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